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„Wissenschaft lebt von Netzwerken“

Prof. Dr. Karl-Josef Dietz. Foto: Kim-Christ

Die Wissenschaft wird derzeit von Kritikern herausgefordert. Gleichzeitig sollen die Pflanzenwissenschaften Lösungen für drängende Probleme der Menschheit finden. Anlässlich seiner Wiederwahl im September beschreibt der Präsident der Deutschen Botanischen Gesellschaft (DBG), Professor Karl-Josef Dietz von der Uni Bielefeld, welche Herausforderungen es zu bewältigen gilt, was die DBG dazu beitragen kann und wie er einst selbst zum Pflanzenforscher wurde. Und er schildert warum die DBG sich – anders als früher – auch außerhalb der Wissenschaft für die Forschung einsetzt.

Dieses Jahr wird die DBG 135 Jahre alt. Was treibt sie derzeit am heftigsten um?

Die Akzeptanz von Forschung an Pflanzen zu erhöhen bleibt auch in den kommenden Jahren unser Ziel. Die Bedeutung neuer Erkenntnisse über die Pflanzenbiologie muss klar herausgestellt werden, denn Pflanzen sind wichtig für eine intakte Umwelt, für eine gesunde Ernährung, als Rohstoff- und Wirkstofflieferanten. Das ist zwar vielen Menschen bewusst. Weniger klar ist leider oft, dass Forschung an Pflanzen hohe Priorität hat, um die Herausforderungen des 21ten Jahrhunderts zu bewältigen. Unser neues Motto Pflanzenwissen schafft Lösungen beschreibt diesen Zusammenhang und unsere Motivation.

Um welche konkreten Herausforderungen handelt es sich dabei?

Spontan fallen mir drei aktuelle Themen ein:

  • Wie gewinnen wir Studierende für die Pflanzenwissenschaften? Kann die DBG hierbei helfen, den passenden Rahmen an Modernität und Faszination zu schaffen?
  • In der Öffentlichkeit wird vielfach ein Gegensatz von Pflanzen als Organismen auf der einen und molekularer Wissenschaft auf der anderen Seite wahrgenommen. Was aber kein Widerspruch ist. Daraus ergeben sich leider Hindernisse, wissenschaftliche Erkenntnisse über die Vor- und Nachteile gezielter genetischer Änderungen tatsächlich ergebnisoffen zu diskutieren. Welcher gesundheitlicher und ökologischer Vorteil lässt sich hier erzielen?
  • In welchem Zusammenhang stehen genetische Möglichkeiten zur Reduzierung von Chemie in der Landwirtschaft und zu nachhaltigen Anbaumethoden? 

Was sind daher die Schwerpunkte im Engagement der DBG?

Die DBG vertritt die Pflanzenwissenschaften in ihrer gesamten Breite, unabhängig und wissensbasiert. Unverändert stehen drei Schwerpunkte im Zentrum unserer Arbeit:

  • Wir wollen das Forum zur Interaktion von Pflanzenwissenschaftlern sein.
  • Wir wollen den studierenden Nachwuchs für die Pflanzenwissenschaften begeistern.
  • Wir wollen Ansprechpartner in Entscheidungsprozessen sein.

Dazu setzen wir uns für die Belange unserer Mitglieder ein und machen uns gemeinsam für sie stark. Und so gewinnen wir auch neue Mitglieder. Auf jedem dieser drei Felder müssen wir aktiv und innovativ sein, um in einer schnellen und globalen Umgebung attraktiv zu bleiben und unseren Beitrag zur Förderung der Pflanzenwissenschaften zu leisten.

Die DBG integriert alle pflanzenwissenschaftlichen Disziplinen. Ist es nicht schwierig für eine Gesellschaft alle diese verschiedenen Disziplinen unter einen Hut zu bringen?

Unsere Stärke ist, dass sechs Fachsektionen in der DBG die Pflanzenwissenschaften in ihrer ganzen Breite abdecken: Sie reichen von der Ökologie bis hin zu angewandter Forschung, Genetik und Biochemie. Unsere Fachsektionen organisieren eigene wissenschaftliche Netzwerke und Workshops. Die DBG unterstützt diese Aktivitäten sowohl finanziell, wie auch ideell und organisatorisch. Besonders freut uns, wenn unsere Förderung dabei dem wissenschaftlichen Nachwuchs zugutekommt. Diese Aktivitäten der DBG und die alle zwei Jahre stattfindende Botanikertagung führen alle diese Disziplinen zusammen.

Müssen sich Forscherinnen und Forscher überhaupt noch auf Kongressen treffen? Mit den neuen Medien können sie sich doch jederzeit einfach und unkompliziert von überall aus der Welt untereinander austauschen?

Tagungen erleichtern den direkten Kontakt. Sie vereinfachen Nachfragen und Diskussionen nach Vorträgen, am Poster und in der Pause. Dort sind Ideen und Konzepte unkompliziert thematisierbar. Unsere Botanikertagung katalysiert interdisziplinäre Kooperationen und ermöglicht das Eintauchen in die Wissenschaft. Die Botanikertagung in Freiburg 1982 war seinerzeit die erste internationale Tagung für mich. Übrigens wurde ich damals von einem älteren Kollegen gerügt, weil ich ein englischsprachiges Poster aufgehängt hatte. Das sei bei einer deutschen Tagung doch deplatziert, meinte er. Inzwischen sind die Botanikertagungen alle international und brauchen den Vergleich mit anderen Konferenzen in der EU und anderswo nicht zu scheuen.

Die weltweite Vernetzung mit anderen Forscherinnen und Forschern, was bringt das?

Nur wenige Forschungsprojekte lassen sich alleine durchführen. In der Regel sind Kooperationen mit in- und ausländischen KollegInnen wichtig, um die notwendige Tiefe der Analyse und Erkenntnis zu erreichen. Genauso wichtig ist aber, dass der internationale Austausch bestes Beispiel für eine friedliche Globalisierung ist. Dies wird unseren Teams ebenso vermittelt wie den in unseren Labors arbeitenden Gästen. Diese internationalen Netzwerke sind ein kleines aber wichtiges Gegengewicht gegen zunehmend autokratische und isolationistische Tendenzen in vielen Ländern. Seit vielen Jahren bieten die Botanikertagungen hochkarätige Wissenschaft auf allerhöchstem Niveau, so auch diejenigen in Tübingen, Freising und Kiel. Es wäre schön, wenn auch in Zukunft die Arbeitsgruppenleiter ihre DoktorandInnen zunächst auf die Botanikertagung mitnähmen, um diesen Spirit zu vermitteln.

Gibt es weitere Aktivitäten in der DBG, um dies zu fördern?

Wir beobachten unsere Angebote und Maßnahmen. Bei Bedarf ergänzen oder modernisieren wir sie. Seit fünf Jahren geben wir den Newsletter heraus, um unsere Mitglieder mit aktuellen Informationen zu versorgen. Die Resonanz, die uns erreicht, ist überaus positiv. Die seit vier Jahren vergebenen Preise für beste Masterarbeiten motivieren den wissenschaftlichen Nachwuchs. Ich bitte unsere Kolleginnen und Kollegen an allen Universitäten im deutschsprachigen Raum, diese Auszeichnung für Masterstudierenden gemeinsam mit der DBG zu vergeben. Eine geringe Zeitinvestition in den Prüfungsämtern bringt so ein Sternchen in den Lebenslauf der PreisträgerInnen. Damit erreichen wir Publicity für die Pflanzenwissenschaften.

Und was bietet die DBG für DoktorandInnen und PostDocs?

Der Eduard Strasburger-Workshop, den PostDocs gemeinsam mit Doktorandinnen und Doktoranden für den Nachwuchs organisieren, wird mit bis zu 5.000 Euro gefördert. Auch hier können die Organisatoren nachweisbar Soft Skills erwerben und gleichzeitig einen spannenden Wissenschaftsaustausch in ihrer Disziplin planen und erleben. Unsere vor zwei Jahren neu gestalteten Internetseiten werden auch sehr gut angenommen, wie die nun verdoppelten Besucherzahlen belegen. Dies reicht noch nicht. Wir wollen weitere Schritte gehen, um attraktiv zu bleiben. Dies betrifft Studierende, die Politik, Redaktionen und die Öffentlichkeit.

Früher war es weniger wichtig, dass sich wissenschaftliche Gesellschaften auch an die Öffentlichkeit wenden. Warum hat sich dies geändert?

Die methodischen und experimentellen Möglichkeiten der Pflanzenwissenschaften haben sich in den letzten Jahren in beeindruckender Weise weiterentwickelt. Wir können Genome editieren, Metagenome der Rhizosphäre entschlüsseln oder Populationsgradienten molekular beschreiben. Gleichzeitig beobachten wir Wissenseinschränkungen durch Politiker wie in den USA, wie im europäischen Ungarn sowie in der Gesetzgebung. Es scheint, dass sich die Entscheidungsträger von gesellschaftlichen Stimmungen leiten lassen, anstatt evidenzbasierte Entscheidungen zu treffen.

Welche politischen Entscheidungen stehen demnächst an?

Hier sind Herausforderungen wie das Access and Benefit Sharing zu nennen, wenn digitale Gen-Informationen in Zukunft möglicherweise unter das Nagoya-Protokoll fallen. Verschärfungen des Gentechnikgesetztes stehen ebenfalls im Raum. Es gilt aber auch den hohen Wert der Grundlagen- und angewandten Pflanzenforschung für die moderne Ausbildung unserer Studierenden zu vermitteln. Die globale Konkurrenzfähigkeit dieses in Deutschland aus meiner Sicht exzellenten Forschungszweigs muss erhalten bleiben. Diese Ziele können wir nur erreichen, wenn wir die Öffentlichkeit, Redaktionen und die Politik ansprechen und inhaltlich überzeugen.

Die Gesellschaft für Molekularbiologie (GBM) plant derzeit aus dem Biologen-Dachverband VBIO auszutreten. Ist das auch für die DBG eine Option?

Der VBiO vertritt als Dachgesellschaft derzeit 25*) biologische Fachgesellschaften und setzt sich damit für mehr als 30.000 biowissenschaftlich arbeitende Personen ein. Dazu kommen noch 6000 individuelle Mitglieder. Seine duale Struktur wird durch die beiden Geschäftsstellen in Berlin und München widergespiegelt und hat historische Gründe. Die Struktur kann als Stärke gesehen werden, nämlich auch föderal als Ansprechpartner auf Landesebene aufgestellt zu sein. Die GBM scheint darin ein grundlegendes strukturelles Problem zu sehen. Ehrlicherweise sind mir persönlich Strukturen egal, wenn die Leistung stimmt.

Welche Leistung meinen Sie?

Der VBiO wird von der Politik und der Presse als kompetenter Ansprechpartner wahrgenommen. Die Geschäftsstelle in Berlin erarbeitet beispielsweise Positionspapiere und Stellungnahmen und nimmt teil an Anhörungen zu Gesetzgebungsverfahren. Jüngst beispielsweise am Naturschutzgesetz, dem Gentechnikgesetz und zum Access und Benefit-Sharing im Nagoya-Protokoll. All dies ist sehr wichtig und kann durch die DBG als wesentlich kleinere Gesellschaft mit ihren viel geringeren Ressourcen nicht gestemmt werden. Deshalb wäre ein Austritt keine kluge Option. Im Gegenteil, die Entscheidung der GBM ist inhaltlich für mich nicht nachvollziehbar.

Sie sprachen vorhin den wissenschaftlichen Nachwuchs an. Welche Türen stehen jungen Forschenden aus den Pflanzenwissenschaften offen?

Diese Frage ist nicht geradlinig zu beantworten, da jede Disziplin eigene Chancen bietet, wenn auch nicht in gleichem Umfang. Expertise in Artenkenntnis und ökologischen oder ökotoxikologischen Zusammenhängen wird vermehrt benötigt, weil Gutachter und Mitarbeiter in Umweltbehörden oder Unternehmen gesucht werden. Biochemiker, Molekularbiologen, Genetiker und Zellbiologen entwickeln methodische und fachliche Kenntnisse, die für eine Beschäftigung in den Pflanzenwissenschaften sowie in einer beliebigen verwandten Disziplin inklusive Biomedizin und Laborleitung qualifizieren. Dabei erlernen Nachwuchskräfte ebenso komplexes Denken, Planung von Experimenten und wissenschaftliche Analyse, den Umgang mit großen Datenmengen und statistische Bewertung. Wichtig sind weiterhin Begeisterung und Selbständigkeit, die dann später Personalchefs sowie Auswahlkommissionen zu überzeugen vermögen.

Sie engagieren sich stark für andere Pflanzenwissenschaftler und für die DBG. Wie kam es dazu?

Meine Entscheidung für die Pflanzenwissenschaften fiel am Ende des Grundstudiums. Die Pflanzenphysiologie fand ich modern und molekular-biochemisch. Der Schwänzeltanz der Biene und die Schwimmblase des Fisches im tierphysiologischen Praktikum zogen mich nicht an. Seitdem begeistert mich die Anpassungsfähigkeit der Pflanzen mehr und mehr, denn Pflanzen können Stressoren ja nicht ausweichen, sondern müssen sich Strategien einfallen lassen, an Ort und Stelle auf Stress zu reagieren. Auf diesem Weg haben mich viele engagierte MitarbeiterInnen sowie nationale und internationale Kooperationspartner begleitet. Dafür bin ich außerordentlich dankbar und möchte mit meinem Engagement für die DBG etwas dafür zurückgeben. Denn Wissenschaft lebt von Netzwerken und einer lebhaften Community. Für diese leistet die DBG auch 135 Jahre nach ihrer Gründung einen wichtigen Beitrag. In den vergangenen sechs Jahren konnte einiges bewegt werden. Alles in Allem ist die Aufgabe als Präsident der DBG herausfordernd und motivierend. Mein Dank gilt allen KollegInnnen, die sich im Vorstand und in den Sektionen für die DBG engagieren.

Was sind die nächsten Schritte, die die DBG nun einschlagen will?

Die DBG möchte sich weiterentwickeln und attraktiv für junge Mitglieder bleiben. Nach vierjähriger Diskussion erschien dem Vorstand die Zeit reif, auch soziale Medien in unser Portfolio einzubinden. Wenn die Wissenschaft dort unsichtbar bleibt, führt dies auch dazu, dass wir das Feld unnötig Wissenschaftskritikern überlassen. Die Mitgliederversammlung informierten wir in Kiel von diesem neuen Plan. Natürlich werden wir den Erfolg genau verfolgen, zumal wir dort fremde Felder bestellen deren Geschäftsbedingungen sich über Nacht ändern können. Wichtig ist daher eine Strategie, die Soziale Medien geschickt mit den Aktivitäten der DBG und der Website verknüpft, die der DBG gehört. Wir sind zuversichtlich, mit dieser Maßnahme die Attraktivität und Modernität der DBG 135 Jahre nach ihrer Gründung zu erhöhen und Mitglieder vermehrt in unsere Aktivitäten einbinden zu können. Dies wäre ein großer Gewinn.

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*) Im Jahr 2018 kommen noch zwei weitere Fachgesellschaften hinzu.

Das Interview führte die Redakteurin Dr. Esther Schwarz-Weig im Dezember 2017

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