Die Prozesse der Proteostase werden durch posttranslationelle Modifikationen (PTMs) gesteuert und führen bis hin zu Proteinrelokalisierung und Proteinabbau (Proteolyse). Unter Proteostase versteht man die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen den Proteinen, die als Enzyme alle physiologischen Prozesse wie zum Beispiel Atmung, Verdauung, Entwicklung oder Immunabwehr in allen Lebewesen steuern. Um das korrekte Zusammenspiel aller Proteine, des Proteoms, zu gewährleisten, müssen sie stets zur richtigen Zeit am richtigen Ort und in der richtigen Art und Weise wirken. Das dynamische Proteom unterliegt daher einem ständigen Auf- und Abbau. Proteine können nach Bedarf produziert und nach Erfüllung ihrer Funktion inaktiviert und abgebaut werden. Auch fehlgefaltete, beschädigte und nichtfunktionierende Proteine werden von der Zelle erkannt und entsorgt.
Spezifische Erkennung und Modifikationen am N-Terminus
Eine mögliche Information über die natürliche Lebensdauer liefert jedes Protein gleich mit: Sie befindet sich am Amino- oder N-Ende des Proteins. Ein Themenschwerpunkt lag auf proteolytischen Prozessen, die u.a. an diesen N-Termini von Proteinen stattfinden oder diese bspw. durch molekulare Erkennungsprozesse involvieren. Viele Beiträge hatten dem sogenannten N-end Rule Pathway zum Thema. Diese N-terminalen Aminosäuren können u.U. Schicksal und Lebensdauer des gesamten Proteins bestimmen. Eine Fehlfunktion in diesem feinregulierten Gleichgewicht kann die Ursache sein für viele schwerwiegende Krankheiten von Pflanzen, Tieren und Menschen.
Das Organisationsteam, Nico Dissmeyer (Halle), Daniel Gibbs (Birmingham), Emmanuelle Graciet (Maynooth) und Michael Holdsworth (Nottingham), setzte sich zum Ziel, die erste international und interdisziplinär ausgelegte Fachtagung für posttranslationelle Modifikationen durchzuführen, die an oder durch den Amino-Terminus von Proteinen stattfinden bzw. durch diesen vermittelt werden. Unter dem Titelthema der Proteostase wurde während N-Term 2017 ebenso über neurodegenerative Krankheiten und neue Therapien gegen das Leberzellkarzinom diskutiert, wie über pflanzliche Stressreaktionen bei Sauerstoffmangel und Krankheitsbefall.
Mechanismen und Phänotypen N-termininaler (Fehl-) Regulation
Highlights waren die beiden Plenarvorträge von Prof. Dr Andreas Bachmair von den Max F. Perutz Laboratories (MFPL) an der Universität Wien sowie von Prof. Dr. Yong Tae Kwon vom Protein Metabolism Medical Research Center an der Seoul National University in Korea. Sie vermittelten umfassende, klare Bilder sowohl von historischen Aspekten als auch konzeptionellen Neuheiten im Feld. Sie verknüpften nicht nur elegant den Spagat zwischen PTMs im proteasomalen Proteinabbau versus desjenigen, der durch Autophagie stattfindet, sondern ebenso zwischen Mechanismen aus Modellsystemen, wie sie fast unterschiedlicher nicht sein können: Hefe und Pflanze oder Säugetiere und Massenspektrometrie. „Of mice, rats and leaves: Comparative N-terminomics“ war dazu der passend programmatische Beitrag von Pitter Huesgen (Jülich). Durch den Vortrag von Martin Zenker (Magdeburg) beispielsweise konnten sich die Teilnehmenden mit humangenetischen und krankheitsbedingten Details des Johanson-Blizzard-Syndroms am Menschen auseinandersetzen. Inhaltlich kann die Tagung als wahrlich interdisziplinär dargestellt werden; was sie von zahlreichen anderen Tagungen unterscheidet. Alle aktuellen Aspekte der Forschung konnten durch die Auswahl der Teilnehmenden abgedeckt werden, egal, in welchem organismischen Kontext sich die Fragestellungen ergaben.
Interdisziplinäre Konzepte und Pflanzenforschung stark vertreten
Ausweislich der Schwerpunkte der Beiträge dreht es sich in der aktuellen Forschung im Themengebiet der Tagung im Allgemeinen um molekulare Enzymologie, Biochemie und Strukturbiologie sowie der Bedeutung der Proteostase in physiologischen Kontexten. Im Speziellen drehte es sich um Proteinaggregation und -abbau neuronaler Proteinfragmente, um Humangenetik und Organentwicklung, um Proteinmodifikationen im Kontext des programmierten Zelltods, neue Funktionen in der pflanzlichen Entwicklung und Anpassung an Umweltstresse sowie biotechnologische und massenspektrometrische Methoden. Die Pflanzenwissenschaften waren im Vergleich zu den Nachbardisziplinen leicht überrepräsentiert, was zu einer intensiven Diskussion der N-end Rule in der pflanzlichen Signaltransduktion und der pflanzlichen Antwort auf biotische und abiotische Stressoren führte.
Immer stärker wird im Feld eine Verbindung von N-terminalen posttranslationellen Modifikationen, insbesondere der Arginylierung, und Autophagie deutlich. Dies wurde durch zahlreiche Beiträge erläutert, die Rezeptoren, Substrate und mögliche Funktionen von N-terminaler Arginylierung präsentierten. Im intensiven Austausch der Kolleginnen und Kollegen wurde ebenfalls festgehalten, dass die sogenannte N-Ende-„Regel“ (N-end Rule) weitaus plastischer und komplexer ist, als lange angenommen und auch in Literatur und Lehrbüchern festgehalten ist. Viele als destabilisierend angenommene PTMs führten nachweislich weder zu Erkennung durch die molekularen „Rezeptoren“ noch zu einem letztendlichen Proteinabbau. Dennoch war man sich einig darüber, dass von einem „Trend“ zu sprechen ist, aber eben nicht jede potentiell destabilisierende Modifikation zu Proteinabbau führen müsste.
NachwuchswissenschaftlerInnen hoch im Kurs
Die Organisierenden luden gezielt TeilnehmerInnen verschiedener Karrierestufen zum Meeting ein und schufen so eine Atmosphäre, die einen generationenübergreifenden Diskurs ermöglichte. Das Organisationsteam konnte viele GruppenleiterInnen überzeugen, JuniorwissenschaftlerInnen (DoktorandInnen, Postdocs) mitzubringen, besonders natürlich aus Deutschland und Europa; auch in Korea war diese Strategie erfolgreich. Die Reisekosten der NachwuchswissenschaftlerInnen konnten gezielt durch Mittel der Boehringer Ingelheim Stiftung und des Fonds der Chemischen Industrie unterstützt werden. Von den über 100 Teilnehmenden stammten mehr als 50% aus dem Ausland, ein Viertel etwa aus Übersee. Ein Drittel der Gäste aus dem europäischen Ausland waren zudem Promovierende, mehr als ein Viertel aller Gäste waren Postdocs und 15 WissenschaftlerInnen leiten Nachwuchsgruppen.
Ausgezeichnete Nachwuchskräfte
Die „Nachwuchsforschenden“ oder „JuniorwissenschaftlerInnen“ kamen besonders bei den Vorträgen und Posterpräsentationen zum Zuge, so gaben zehn von ihnen zusätzlich zu ihren Posterpräsentationen Kurzvorträge, um die Arbeit vorzustellen, und machten alleine damit schon ein Viertel der Vorträge aus. Für die Beiträge der Studierenden wurden drei Posterpreise von EMBO und Springer Nature gestiftet und von allen Teilnehmenden anhand ihrer Präsentationsmethoden, Klarheit und experimenteller Herangehensweise ausgewählt. Der EMBO-Posterpreis ging an Herrn Sjon Hartman, Universität Utrecht (bei Prof. Rens Voesenek) mit dem doppeldeutigen und für das Pflanzenfeld programmatischen Titel „NO problem: ethylene-induced regulation of nitric oxide confers flooding tolerance in plants.“ Die beiden Buchpreise von Springer Nature gingen an Frau Leah Taylor-Kearney, Universität Oxford (bei Dr. Emily Flashman) über „Conserved Function of a Plant Cysteine Oxidase from Marchantia polymorphia“ sowie an Frau Su Hyun Lee, Seoul National University (bei Prof. Yong Tae Kwon) zu „p62 is an N-recognin of the N-end Rule pathway which modulates autophagosome biogenesis.“
Fortsetzung bereits geplant
Die Methoden, Fragestellungen und Ansätze der Prämierten unterstreichen aktuelle Trends in der Community, in der besonders die Pflanzenforschung in den letzten 10 Jahren an Popularität und Aufmerksamkeit beispielslos gewann sowie neue Verschaltungen von N-end Rule Pathway und Autophagie beschrieben wurden. Ein besonderer und nachhaltiger Erfolg ist, dass der erste Schritt geschafft wurde, den Grundstein für ein wiederkehrendes Treffen zu legen und der „Staffelstab N-term“ weitergegeben werden konnte an Prof. Yong Tae Kwon. Er wird als Hauptorganisator von N-term 2019 an der Seoul National University in Südkorea fungieren.
Maßgebliche Unterstützung erhielten die OrganisatorInnen von der EU COST Action BM1307: “European network to integrate research on intracellular proteolysis pathways in health and disease (PROTEOSTASIS)” und der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die Deutsche Botanische Gesellschaft (DBG) hostete die Website der Konferenz (nterm2017.org) und das eingebundene Tagungsmanagement wurde maßgeblich unterstützt von Dr. Luise Brand, MPI für Pflanzenzüchtungsforschung, ehemals Arabidopsis Functional Genomics Network (AFGN). Die Infrastruktur der Website steht für Konferenzen und Tagungen allen Mitgliedern der DBG offen und wird von den Organisatoren von N-term 2017 ausdrücklich empfohlen.
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Im November 2017
Dr. Nico Dissmeyer, www.ipb-halle.de und www.dissmeyerlab.org;
Twitter: @NDissmeyer