Friedrich Ehrendorfer wurde am 26. Juli 1927 in Wien geboren. Schon seit früher Jugend ein begeisterter Florist studierte er an der Universität Wien Biologie mit dem Schwerpunkt Botanik, dissertierte 1949 unter seinen Lehrern Lothar Geitler (Karyologie) und Karl Heinz Rechinger (Taxonomie) über eine polyploide Verwandtschaftsgruppe der Labkräuter (Galium sect. Leptogalium) im Alter von 22 Jahren und habilitierte sich 1955 an der Universität Wien. Von 1960 bis 1964 arbeitete er als Kustos der Botanischen Abteilung des Naturhistorischen Museums in Wien (Herbarium W) und von 1965 bis 1970 als Ordentlicher Professor für Botanik an der Universität Graz. Von 1970 bis zu seiner Emeritierung 1995 war er Ordinarius am Institut für Botanik der Universität Wien und Direktor des Botanischen Gartens.
Experte für den Polyploidkomplex
Wesentliche Impulse für seine wissenschaftliche Karriere erhielt er durch zwei Forschungsaufenthalten in den USA: 1952 an der Harvard University, 1959 an der University of California bei Edgar Anderson, Jens Clausen, William Hiesey und George Ledyard Stebbins.
Ein Forschungsthema, das Ehrendorfer sein ganzes Leben lang beschäftigte, waren die Rubiaceae-Rubieae (insbesondere die großen Gattungen Galium, Cruciata und Asperula), speziell die Erforschung der Phylogenie, insbesondere des Polyploidkomplexes Galium pusillum agg..
Ehrendorfer konnte zeigen, dass sich am Beispiel von Galium pusillum agg. die postglaziale Wiederbesiedlung der Alpen an der aktuellen Verbreitung der allopolyploiden Derivat-Sippen aus reliktischen diploiden Stammsippen nachzeichnen lässt. In Ehrendorfers Jugend wurde diese Herangehensweise von den damaligen Professoren übrigens mit Skepsis gesehen (phylogenetische Forschung galt seinerzeit als spekulative und daher unseriöse Bemühung). Welch ein Triumph für Ehrendorfer, dass in seinem Alter ganz umgekehrt Taxonomie nur noch als Phylogenetik betrieben werden darf!
In seinen letzten Arbeiten freundete er sich mit der Molekulartaxonomie an und schuf ein neues System der Rubieae. Weitere Forschungsthemen waren insbesondere Achillea millefolium agg. (ebenfalls ein Polyploidkomplex) und die Anthemideen sowie Knautia und die Dipsacaceen, jedoch auch etliche weitere Taxa, so z. B. die Karyotaxonomie phylogenetisch ursprünglicher tropischer Familien wie etwa der Winteraceen. Seine zusammenfassenden Übersichten (EHRENDORFER 1959, 1962, 1963, 1970) können als Marksteine der „vor-molekularen“ phylogenetisch orientierten Taxonomie gelten.
Pionier der Karyotaxonomie und Lehrer
Friedrich Ehrendorfer war einer der Ersten, die in den 1960er-Jahren in Europa die Karyotaxonomie einführten, also die Verwendung der Chromosomen, insbesondere der Polyploidie, zur Aufklärung der Verwandtschaftsverhältnisse. Entscheidend wichtig und für Ehrendorfer charakteristisch ist seine breite, umfassende, biologische Sicht, die Einbeziehung der Fortpflanzungsbiologie, der Ökologie und Chorologie in die taxonomische Forschung. Methodenvielfalt und Multidisziplinarität waren ihm sehr wichtig.
Ehrendorfer war ein temperamentvoller und begeisternder Lehrer, der in geradezu suggestiver Weise Student*innen und Kolleg*innen inspirierte. Bei Referaten konnte er stets sehr rasch die entscheidenden Punkte und Probleme erfassen und damit lebhafte Diskussionen auslösen, er agierte gern als „advocatus diaboli“, wie er sich selbst bezeichnete, um in wissenschaftliche Tiefen vorzudringen.
Besonders beliebt waren seine Exkursionen – im Botanischen Garten und im Wienerwald, am Neusiedler See und in den Alpen ebenso wie in den mediterranen Ländern und in den Tropen. Die Pflanzentaxa, die ihm alle bis ins Detail geläufig waren, deren Lebensweise ebenso wie deren ökologisch-geographische Position und mutmaßliche Phylogenie verstand er in ihren komplexen Zusammenhängen stets mitreißend zu vermitteln. Seine Vorlesungen waren von manchen Studierenden allerdings gefürchtet, weil er stets verlangte, dass alle Zuhörer*innen mit derselben Begeisterung wie er selbst bei der Sache waren. Als leidenschaftlicher akademischer Lehrer verfasste Ehrendorfer für Strasburgers „Lehrbuch der Botanik“ die Kapitel „Evolution“ und „Samenpflanzen“ in der 30. bis 34. Auflage (1971 bis 1998). Auch für die Vermittlung botanischen Wissens in der Öffentlichkeit hat Ehrendorfer zeitlebens viel geleistet, so etwa als Mitherausgeber und Mitautor einer „Naturgeschichte Wiens“ (STARMÜHLNER & EHRENDORFER, 1970–1974, vier Bände) und der aktualisierten, einbändigen Neubearbeitung (BERGER & EHRENDORFER 2011). Die traditionelle "Österreichische Botanische Zeitschrift" verwandelte er 1973 in die renommierte Plant Systematics and Evolution, die er jahrzehntelang leitete.
Atlas der Flora Mitteleuropas
Nicht zuletzt verdanken wir Ehrendorfer die Initiative zur Kartierung der Flora Mitteleuropas (EHRENDORFER und HAMANN 1965) nach dem britischen Vorbild. Heute stehen uns zahlreiche prächtige derartige Verbreitungsatlanten verschiedener Länder zur Verfügung. Als Basiswerk dafür wurde die – gleichfalls von Ehrendorfer angeregte – „Liste der Gefäßpflanzen Mitteleuropas“ von GUTERMANN und NIKLFELD (1973) geschaffen, über lange Zeit ein Standardwerk der mitteleuropäischen Floristik und Taxonomie.
Taxonom und Polyploidie-Experte
Taxonomische Familien- bzw. Gattungsbearbeitungen lieferte Ehrendorfer für etliche Florenwerke wie „Flora Europaea“ (1976, mit F. KRENDL u. Ch. PUFF), „Flora of Turkey“ (1980, mit E. SCHÖNBECK-TEMESY), „Flora Iranica“ (2005, mit E. SCHÖNBECK-TEMESY, Ch. PUFF u. W. RECHINGER), „Flora of China“ (2011, mit T. CHEN) und schließlich HEGIs „Illustrierte Flora von Mitteleuropa“ (2016, mit A. KÄSTNER). Über viele Jahre referierte er für die „Fortschritte der Botanik“ die jeweils neuen Beiträge zum Themenbereich Samenpflanzen-Taxonomie.
Darüber hinaus war Ehrendorfer nicht nur als als Taxonom, sondern insbesondere als Evolutionsforscher und Polyploidie-Experte weltweit geschätzt und daher Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gesellschaften rund um die Welt. Er wurde mit einer Vielzahl von Auszeichnungen und Ehrungen bedacht, zum Beispiel mit der Engler-Medaille der International Assoziation of Plant Taxonomists (IAPT), und nicht zuletzt ist er Träger des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst I. Klasse. Die Mykologen widmeten ihm Crepidotus ehrendorferi, die Angiospermen-Taxonomen die neue, kalifornische Papaveraceen-(Fumariaceen-)Gattung Ehrendorferia.
Das Institut für Botanik der Universität Wien verdankt Prof. Ehrendorfer nicht nur wesentliche thematische Ausweitung etwa auf Chemotaxonomie (H. Greger), Mykologie (I. Greilhuber-Krisai) und Geobotanik (H. Niklfeld), sondern auch die 1992 abgeschlossene bauliche Erweiterung.
Prof. Ehrendorfer war seit 1975 Wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, wo er insbesondere nach seiner Emeritierung aktiv war. So schuf er die „Kommission für interdisziplinäre ökologische Studien“ und gab zwei Bände (Rostpilze und Moose) des „Catalogus Florae Austriae“ heraus.
Friedrich Ehrendorfer war trotz seiner Berühmtheit ein ungewöhnlich bescheidener Mensch, jede Spur von Eitelkeit war ihm völlig fremd, er lebte ausschließlich für seine Wissenschaft und sein Hobby Kunstgeschichte und natürlich auch für seine Familie, seine erste Frau Eva, die ihm eine Tochter und drei Söhne schenkte, aber allzu früh einem Krebsleiden erlag, und seine zweite Frau Luise, die ihn auch in seinen allerletzten, durch Krankheit getrübten Jahren liebevoll betreute.
Eine große botanische Persönlichkeit ist von uns gegangen. Wir werden Ehrendorfer stets ehrenvoll gedenken; sein Wirken wird in unserer Wissenschaft weiterleben.
Literatur
EHRENDORFER F. (1959): Differentiation-hybridization cycles and polyploidy in Achillea. Cold Spring Harbor Symp. Quant. Biol. 24: 141–152.
EHRENDORFER F. (1962): Cytotaxonomische Beiträge zur Genese der mitteleuropäischen Flora und Vegetation. Ber. Deutsch. Bot. Ges. 75: 137–152.
EHRENDORFER F. (1963): Cytologie, Taxonomie und Evolution bei Samenpflanzen. In: TURRILL W. B. (Ed.): Vistas in Botany 4: 99–186. – Oxford: Pergamon Press.
EHRENDORFER F. & HAMANN U. (1965): Vorschläge zu einer floristischen Kartierung von Mitteleuropa. Ber. Deutsch. Bot. Ges. 78: 35–50.
EHRENDORFER F. (1970): Mediterran-mitteleuropäische Florenbeziehungen im Lichte cytotaxonomischer Befunde. Feddes Repert. 81: 3–32
STARMÜHLNER F. & EHRENDORFER F. (Red.) (1970–1974): Naturgeschichte Wiens. Die Naturgeschichte einer Stadt. 1–4. Wien &c.: Jugend u. Volk.
HAUSKNECHT A. & KRISAI I. (1988): A new species of Crepidotus (Crepidotaceae). Plant Syst. Evol. 161 (3/4): 183–188.
FISCHER M. A. (1992b): 65 Jahre Friedrich Ehrendorfer. – In: MORAWETZ W. (Ed.): Die Botanik am Rennweg. Das Institut für Botanik und der Botanische Garten der Universität Wien. Festband zur Eröffnung des neuen Instituts. Abh. Zool.-Bot. Ges. Österr. 26: 1–8.
FISCHER M. A. (1997a): Friedrich Ehrendorfer 70 – a life of pioneering devotion to botany and biosystematics. Pl. Syst. Evol. 206: 3–18.
BERGER R. & EHRENDORFER F. (Hg.) (2011): Ökosystem Wien. Die Naturgeschichte einer Stadt. – Wien &c.: Böhlau.
KÄSTNER A. & EHRENDORFER F. (2016): Rubiaceae – Kaffeegewächse, Krappgewächse, Rötegewächse. In: G. HEGI (Begr.): Illustrierte Flora von Mitteleuropa, 2. Aufl. VI/2B. Jena: Weissdorn.
FISCHER M. A., PACHSCHWÖLL C., KARRER G., SCHÖNSWETTER P., PILS G., GUTERMANN W. & NIKLFELD H. (2018): Friedrich Ehrendorfer and his achievements for the research on the Austrian Flora – An appreciation by his pupils and „grandchildren“ on the occasion of his 90th birthday. Neilreichia 9: 389–409.
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Prof. em. Manfred A. Fischer, Universität Wien