Der Tagungsort, die Jenaer Rosensäle, sind ein geschichtsträchtiger Ort, an dem im frühen 19. Jahrhundert akademische Konzerte stattfanden mit berühmten Gästen wie Franz Liszt oder Clara Wiek. Von dort aus waren die Exkursionsorte einfach zu Fuß zu erreichen. Hierbei konnten die Teilnehmer*innen wählen zwischen Führungen im Botanischen Garten, im Schiller Gartenhaus, im Ernst-Haeckel Haus oder im Phyletischen Museum.
Ehrenvortrag Optogenetik
Der diesjährige Ehrenvortrag zu einem Thema der Phykologie, das auch außerhalb der Phykologie hohe Wellen schlägt, wurde von sen. Prof. Dr. Peter Hegemann (HU Berlin) zum Thema Algal photoreceptors as drivers of Optogenetics gehalten. Basierend auf dem Photorezeptor Channelrhodopsin 1 aus der Grünalge Chlamydomonas reinhardtii, welcher sich in der Plasmamembran beim Augenfleck befindet, und seinen biophysikalischen Charakterisierungen, die von Peter Hegemann und weiteren Kollegen*innen federführend durchgeführt worden waren, entwickelte sich das neue Feld der Optogenetik signifikant weiter. Die Kenntnisse wurden bald in tierischen Systemen genutzt und letztendlich auch im Menschen. Somit gelang es etwa kürzlich, einen blinden Menschen wieder partielle Sehfähigkeit zu verleihen.
Breites wissenschaftliches Programm
Die weiteren Vorträge der englischsprachigen Tagung befassten sich mit den verschiedenen aktuellen Gebieten der Phykologie. Etwa die Hälfte aller Vorträge wurde von Promovierenden gehalten, was eines der erklärten Ziele der Sektion unterstreicht – motivierten Nachwuchswissenschaftler*innen eine Bühne zu bieten. Die Themen umfassten:
Biotic Interactions
Die Interaktion von Mikro- und Makroalgen mit Mikroorganismen wie z.B. Bakterien waren Bestandteil verschiedener Vorträge. Hierbei wurden Naturstoffe charakterisiert, die bei diesen Interaktionen als „chemisches Sprachrohr“ dienen und einen positiven bzw. negativen Einfluss auf die Algen haben. Auch neuartige Cyanobakterien aus Flechten standen im Fokus.
Perception of Abiotic Factors
Der positive und schädliche Einfluss von Licht auf Mikroalgen wurde vorgestellt inklusive der Charakterisierung neuartiger Photorezeptoren und Carotinoiden, außergewöhnlicher Wellenlängenbereiche für die Photosynthese sowie Strategien und Proteine, die vor Lichtstress schützen. Weiterhin wurden Anpassungen von Algen an das Landleben verbunden mit der sexuellen Vermehrung gezeigt.
Ecology
Im Mittelpunkt standen aktuelle ökologische Themen wie der Klimawandel und dessen Einfluss auf Algen, Abwasserbehandlungen, die Diversität bestimmter Kieselalgen und ihre molekularen Analysen in arktischen und antarktischen Regionen oder die Diversität von Chrysophyceen.
Applied Phycology and Physiology
Eine Vielfalt von Themen wurde vorgestellt, wie die Biosynthese von Apocarotenoiden und Stressantworten bei Charophyta, physiologischen Änderungen bei der Zygosporenbildung bei Chlamydomonas, Polyphosphate bei einer Süßwasserkieselalge, die Entwicklung einer Modellalge für Coccolitophore und erste Ansätze zum automatisierten machine learning bei der Identifizierung von Mikroalgen Spezies im Phytoplankton.
Algal Tool Box
Interessante Ansätze wie die Charakterisierung von Enhancer-Elementen oder Fortschritte bei der nukleären Genomeditierung bei Mikroalgen, neuartige Proteommethoden für cynaobakterielle Exoproteine oder die Charakterisierung der Gleitbewegung der Kieselalgen waren im Fokus dieser Session.
Insgesamt beinhaltete das Programm die faszinierende Vielfalt phykologischer Themen, sodass zahlreiche Diskussionen und Anregungen zwischen den Teilnehmern*innen stattfanden. Der letzte Nachmittag war dem Kennenlernen historischer Orte der Stadt Jena gewidmet, die von Goethe, Schiller und Haeckel mitgeprägt worden waren (siehe Exkursionen oben).
Schüler*innenpreis zum zweiten Mal verliehen
Der Einstieg in die Tagung galt dem sehr jungen Nachwuchs. So wurde zum zweiten Mal der Schüler*innen-Preis der Sektion Phykologie verliehen. Er ging an Hanna Reichinger, einer Schülerin des Gymnasiums (BORG) Straßwalchen in Österreich, die Haematococcus zur Gewinnung von Astaxanthin für den biotechnologischen Nutzen kultivierte. Sie stellte den Einfluss von Stickstoff- und Phosphatverbindungen auf die Produktion von Astaxanthin auf beindruckende Weise vor.
Die sehr interessanten Themen der ersten drei Plätze zum Thema „Mit Algen die Zukunft gestalten“ lauten:
1. Platz: H. Reichinger „Kultivierung von Haematococcus zur Gewinnung von Astaxanthin für den biotechnologischen Nutzen“ (Gymnasium BORG Straßwalchen)
2. Platz: M. Löhr, T. Koch und R. Spohrleder „Green Filters: Wie Algen zur Säuberung von Wasser beitragen können“ (Otto-Hahn-Gymnasium Göttingen)
3. Platz: L. Hafermann und H. Hoang „Algae vs. Metals: die Detoxwirkung der Chlorella vulgaris“ (Andreas-Gymnasium Berlin)
Ausgezeichnete wissenschaftliche Vorträge und Poster
Im Rahmen der Tagung wurden folgende Preise für Nachwuchswissenschaftler*innen vergeben:
Der Pringsheim Preis für die beste präsentierte Doktorarbeit ging an Charlotte Permann, MSc., Innsbruck, für Ihren herausragenden Vortrag zum Thema: Sexual reproduction in Zygnematophyceae – a key to terrestrialization?
Der Studierenden-Förderpreis für die beste Bachelor-/Masterarbeit wurde an Nina Rittmeier, Innsbruck, verliehen, zum Thema Control of cell division and chromosome countings in three strains of the filamentous green alga Zygnema (Zygnematophyceae, Charophyta).
Weiterhin wurden Preise für die besten Poster von Promovierenden verliehen:
Platz 1: Trang Vuong, Jena, zum Thema: Life of Chlamydomonas reinhardtii in a 3-D structured environment.
Platz 2: Cynthia Medwed, Rostock, zum Thema: Not dead yet: historical Cyanobacteria in sediment cores survived over decades and can be revived.
Ehrung mit der von Stosch Medaille
Die Hans-Adolph von Stosch Medaille wird an einen herausragenden Phykologen verliehen, der sich in besonderer Weise für die Förderung und das Ansehen der Phykologie eingesetzt hat. Hierfür wurde von verschiedenen Mitgliedern der Sektion sen. Prof. Dr. Christian Wilhelm vorgeschlagen und von einer Jury einstimmig gewählt.
Die Laudatio wurde von Prof. Dr. Claudia Büchel gehalten, die auf beeindruckende Weise darstellte, mit welcher Breite Christian Wilhelm zur phykologischen Forschung beigetragen hat und mit welcher Begeisterung er seine Studenten*innen und Mitarbeiter*innen für die Forschung an Algen überzeugen konnte.
In seinem Vortrag hinterfragte Christian Wilhelm kritische, zentrale Punkte der Photosynthese in Bezug zur gesamten Zelle, zu den Plastiden, der CO2-Fixierung und den Folgen für das Wachstum von Algen. Am Ende begeisterte er die Zuhörer*innen nicht nur mit seiner wissenschaftlichen Expertise und seinem kritischen Herangehen an zentrale Fragestellungen bzgl. der Relevanz von Algen, sondern überraschte mit seinem begeisternden Gedicht über die Evolution photosynthetisch aktiver Mikroorganismen:
Draparnaldia
Lange bevor Licht das Landleben nährte
Verkroch es sich dicht unter Wasser
Darüber lag Strahlentod
Lange bevor ächzende Äste
Sich dem Wind entgegen stellten
Verknäulte sich haarkleines Fadenwerk im gurrenden
Wasser.
Wäre da nicht aus kleinsten Körpern ausgeströmt
Was anfangs beißend und scharf schmeckte
Nie hätte ein Wesen atmen oder bluten können.
Wie jeder Forstschritt seinen Anfang nimmt im Versuch
So sind Schmerz und Glück Geschwister.
Prof. Dr. Christian Wilhelm
Vorstandswahl
Drei Mitglieder des Vorstands, welche seit vielen Jahren dem Vorstand angehörten, traten nicht mehr zur Wahl an und machten Platz für den Nachwuchs: die Graduiertensprecherin Dr. Karin Glaser, der Schriftführer Prof. Dr. Andreas Holzinger und die 1. Vorsitzende Prof. Dr. Maria Mittag. Im Rahmen der Mitgliederversammlung am 13. März wurden die folgenden Mitglieder gewählt, die sich zur Vorstandswahl gestellt hatten:
Prof. Dr. Claudia Büchel (1. Vorsitzende), Dr. Thomas Leya (2. Vorsitzender), Jun.-Prof. Klaus Herburger, PhD (Schriftführer), Dr. Maike Lorenz (Kassenwartin), Beisitzer: Prof. Dr. Severin Sasso, Graduierten Beisitzerin: Charlotte Permann, Vertreter in der Federation of European Phycological Societies (FEPS): Prof. Dr. Peter Kroth.
Ausblick
Die nächste wissenschaftliche Tagung der Sektion Phykologie wird im Frühjahr 2025 in Göttingen stattfinden.
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Im März 2023
Prof. Dr. Maria Mittag, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Matthias-Schleiden-Institut