Die Vielfalt der Algenforschung

Zur 14. Tagung der Phykologen (26. - 29.2.2012) reisten etwa 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach Wuppertal, wo sie ein hochkarätiges Programm erwartete: von ökologischen Aspekten der Wüsten- und Eisalgen über Genomics und Proteomics bis hin zur anwendungsorientierten Forschung: Etwa wie sehr sich Rotalgen von anderen Algen unterscheiden, wie Algen auf Afrikanische Flamingos wirken, welch geringe Temperaturerhöhung reicht, um die Vermehrung arktischer Algen deutlich zu erhöhen, oder welche amöboide Stadien die sehr seltenen Synchromophyceae durchlaufen. Der Protokollant berichtet, warum er die Vorträge sowie Poster genoss, und schwärmt von der herzlichen Atmosphäre.
Ein Tagungsbericht von Michael Schagerl (Universität Wien)

Am Sonntag wurden wir kurz nach Mittag vom Organisationsteam der Tagungspräsidentin, Professorin Gela Preisfeld, freundlich empfangen. Ich selbst reiste mit großer Vorfreude an, weil die bisherigen Treffen stets einen äußerst positiven Eindruck hinterließen. Auch bei der diesjährigen Tagung mit rund 80 Teilnehmenden - unter ihnen zahlreiche Nachwuchsforscherinnen und -forscher [2, 3] - war das wissenschaftliche Niveau hervorragend.

Besonders die prämierten Vorträge und Poster überzeugten: Den Pringsheim-Preis für die beste Präsentation einer Doktorarbeit erhielt Karin Komšić-Buchmann (Universität Düsseldorf/ab SS 2012 Universität zu Köln) für ihre Arbeiten an kontraktilen Vakuolen von Chlamydomonas-Mutanten, die sie zuvor selbst isolierte. Wie sie zeigte, ist das Gen CreSEC6 essentiell für die Funktion der pulsierenden Vakuolen. Darüber hinaus könnte dieses Gen auch entscheidend die Länge der Geißeln beeinflussen. Der Biomaris Förderpreis für die beste Präsentation einer Bachelor-, Master- oder Diplomarbeit ging an Steffen Storck von der Johannes-Gutenberg Universität Mainz. Storck untersuchte die Funktion des akzessorischen Pigmentes Loroxanthin, das bei manchen Grünalgen zu finden ist. Dieses Pigment dürfte bei Akklimatisierungsvorgängen an unterschiedliche Lichtbedingungen eine zentrale Rolle spielen. Die Posterpreise erhielten: Daniela Ewe (1. Preis) für ihre Studien zur CO2-Fixierung in Diatomeen, Benjamin Schellenberger (2. Preis) für photophysiologische Untersuchungen an Diatomeen und Ladislav Hodač (3. Preis) für seine Arbeiten in Tuffhabitaten.

Der Vielfalt der Forschung ausgeliefert

Auch diesmal waren die Themen sehr vielfältig und reichten von ökologischen Aspekten der Wüsten- und Eisalgen über Genomics und Proteomics bis hin zur anwendungsorientierten Forschung.

Es ist schwierig, eine Auswahl an Highlights zu treffen, zumal die überwiegende Zahl der Präsentationen eine sehr hohe Qualität aufwies. Neben den mit Preisen ausgezeichneten Beiträgen möchte ich vier gelungene Vorträge aus verschiedenen Themenbereichen nennen. Über das Genom-Projekt von Chondrus crispus (Irish moss) berichtete Klaus Valentin vom AWI Bremerhaven. Er zeigte, dass sich die Genstruktur von Rotalgen deutlich von vielen anderen Organismen unterscheidet. Valentin stellte das komplexe Thema auch für Nichtfachleute in sehr anschaulicher, nachvollziehbarer Weise dar und zeigte zusätzlich die enormen technischen Fortschritte auf, die dieses Gebiet in den letzten Jahren erfuhr.

Lothar Krienitz vom IGB Berlin gab einen sehr anschaulichen Überblick über seine Forschungen in Sodaseen. Die Zusammensetzung der Algengemeinschaften beeinflusst die Flamingos, die diese Ökosysteme zu Hunderttausenden bevölkern. Für Zwergflamingos stellen die spiralig gewundenen Fäden der Blaualge Arthrospira die wichtigste Nahrungsquelle dar. Dabei wird Wasser mit den darin befindlichen Partikeln durch einen Filtrationsapparat gesiebt, der in den Schnäbeln von Flamingos lokalisiert ist. Die Nahrung kann aber auch zur tödlichen Gefahr werden: neben Algentoxinen, die als Nervengifte wirken, können verschiedene Algenspezies den Filtrationsapparat der Flamingos verkleben und so zum Massensterben von  Flamingos führen. In diesen Ökosystemen ist auch die „Mickymaus-Alge“ Picocystis zu finden, die Lewin, Krienitz und Kollegen ursprünglich aus kalifornischen Salinen beschrieben hatten.

In ganz andere Gefilde brachte uns Jana Wölfel von der Uni Rostock, die ökophysiologische Untersuchungen von an der Sandoberfläche lebenden Mikroalgen in arktischen Gewässern durchführte. Die in situ Messungen stellten eine experimentelle Herausforderung dar und erforderten umfangreiche Taucharbeiten. Die Ergebnisse wurden schließlich für weiterführende Modellierungen von Temperaturänderungen in polaren Regionen verwendet. Wie Wölfel darlegte, bewirkt eine sommerliche Wassererwärmung von 2°C eine Produktionssteigerung zwischen 6 und 20 %.

Maria Schmidt von der Uni Leipzig präsentierte ihre Forschungen über die vor Kurzem neu beschriebene Klasse Synchromophyceae innerhalb der Heterokontophyta. Diese marinen Vertreter wurden weltweit bislang nur wenige Male gefunden und konnten in langwieriger Kleinarbeit isoliert werden. Sie untersuchte die Kulturen licht- und eletronenmikroskopisch sowie phylogenetisch. Vertreter dieser Klasse zeigen einen charakteristischen Lebenszyklus, der amöboide Stadien beinhaltet; bei Vertretern der Gattung Synchroma können einzigartige Chloroplastenkomplexe beobachtet werden, bei denen Plastiden in typischer Weise in der Zelle organisiert sind.

Gerade die Vielfalt an verschiedenen Themen ohne parallele Vorträge macht die Sektionstagung zu einem Highlight. Man ist sozusagen auch Themen „ausgeliefert“, die nicht ins eigene Fachgebiet fallen, und bekommt so viele neue Einblicke und Ideen. Für die Vortragenden stellt sich hier die Herausforderung, die oft komplexen Zusammenhänge auch für Uneingeweihte übersichtlich darzustellen - dies gelang wieder mit Bravour!

Graduierten-Beisitzerin beschlossen, neuer Vorstand gewählt

Bei der Mitgliederversammlung wurde der neue Vorstand gewählt (http://www.dbgphykologie.de/pages/10Vorstand.html) und dem scheidenden Vorstand für seinen großartigen Einsatz herzlich gedankt. Neben den zahlreichen Vorstandstätigkeiten hinter den Kulissen sind an dieser Stelle die vielen Initiativen im Bereich der PR-Aktivitäten hervorzuheben. Die Mitgliederzahl der Sektion hat sich erfreulicherweise spürbar erhöht und es gibt im Vorstand nun auch eine Graduierten Beisitzerin, um auf die Wünsche und Bedürfnisse der JungwissenschafterINNen besser einzugehen.

Entspanntes „Familientreffen“

Ich gebe es zu: meine Vorfreude entsprang nicht nur Wissensdrang und Neugierde, sondern bezog sich auch auf das Umfeld. Gerade das Umfeld ist es, was diese Tagung von vielen anderen Meetings abhebt. Es ist ein Treffen, das sich durch eine sehr herzliche Atmosphäre auszeichnet. Ich bezeichne es immer als „Familientreffen“: man trifft alte Bekannte und auch der Nachwuchs ist sehr gut vertreten. Das freundliche Umfeld motiviert zu Fragen und offenen Diskussionen und bietet „newcomers“ eine optimale Plattform, ihre Daten ohne Scheu zu präsentieren. In bewährter Weise waren wir etwas außerhalb der Großstadt Wuppertal untergebracht, wodurch die Interaktionen auch in den Abendstunden sehr gefördert wurden. Überhaupt trug das vom Organisationsteam um Gela Preisfeld optimal zusammen gestellte Programm sehr zur entspannten, kommunikationsfördernden Atmosphäre bei (wie auch das nur sporadisch funktionierende WLAN). Neben der sehr guten Information im Vorfeld der Tagung war die Betreuung vor Ort „super“, wie wir Österreicher sagen! Die Unterbringung in der CVJM-Bildungsstätte Bundeshöhe war sehr angenehm; stets wurden wir umsorgt und bestens verpflegt. Professorin Gela Preisfeld kümmerte sich sogar um optimales Wetter für Phykologen und Wuppertal konnte so seine Bekanntheit als regenreichste Großstadt Deutschlands voll ausspielen.

Die nächste Tagung wird in der Gegend um Rostock stattfinden und ich gebe es gleich hier zu: ich freue mich schon sehr darauf!

Wien, im April 2012

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