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Internationale Wasserlinsen-Community kam in Gatersleben zusammen

Das neu gewählte International Steering Committee on Duckweed Research and Applications (ISCDRA) v.l.n.r.: Klaus-J. Appenroth (Deutschland), K. Sowjanya Sree (Indien), Tsipi Shoham (Israel), Marcel Jansen (Irland) und Eric Lam (USA). Foto: Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) Gatersleben

Die inzwischen sechste Tagung zur Wasserlinsenforschung versammelte beinahe 100 Fachleute und die internationale Expertise der verschiedenen Forschungsdisziplinen in Gatersleben in Sachsen-Anhalt, um erfahrene wie angehende Wissenschaftler*innen mit anwendungs- und verwertungsorientierten Unternehmen zusammen zu bringen. Denn die kleine Pflanze bietet in mehrfacher Hinsicht enormes Potential für nachhaltige Anwendungen und eine ressourcenschonende Zukunft. Warum sich so viele Interessensgruppen für die Mini-Pflanze interessieren und welche Themen während der Tagung diskutiert wurden, beschreiben Klaus-J. Appenroth und Ingo Schubert.

Die International Conference on Duckweed Research and Applications vom 29. Mai bis 1. Juni 2022 in Gatersleben war die sechste Konferenz einer biannuellen Serie und die erste in Europa nach fünf vorangegangenen Konferenzen in China, den USA, Japan, Indien und Israel. Die Gaterslebener Konferenz war Pandemie-bedingt um ein Jahr verschoben worden. Die Organisation erfolgte im Auftrag des International Steering Committee of Duckweed Research and Application (ISCDRA), gemeinsam durch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) und die deutsche Gesellschaft für Pflanzenzüchtung (GPZ).  Die lokale wissenschaftliche Organisation lag in den Händen von Ingo Schubert, Manuela Nagel (beide IPK Gatersleben) und Klaus-Jürgen Appenroth (Friedrich-Schiller-Universität Jena).

Warum sich verschiedene Gruppen für Wasserlinsen interessieren

Wasserlinsen bilden eine kleine, weltweit verbreitete, einkeimblättrige Pflanzenfamilie mit derzeit 36 Arten in fünf Gattungen mit der schnellsten Biomassevermehrung. Weitere besondere Merkmale sind evolutionär fortschreitende Organreduktion (keine Sproß- und Blattdifferenzierung; in zwei Gattungen keine Wurzeln mehr), vorwiegend asexuelle Vermehrung durch Tochtersprossung aus Meristemtaschen sowie effiziente Aufnahme von Nitrat, Phosphat und anderen Mineralien. Die Protein-, Kohlenhydrat-, Lipid- und Vitaminzusammensetzung ist gemäß den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation optimal für menschliche Ernährung. Aus diesen Gründen wurden Wasserlinsen zur einer Modellpflanze für die Entwicklungs-, Evolutions-, Genom- und Stressbiologie und finden zunehmend kommerzielles Interesse für die Nahrungs-, Futtermittel- und Bioenergieproduktion, wie für die Abwasserreinigung und als Bioreaktor. Daher wird die (alternative) Kulturpflanze, die keine Ackerfläche benötigt, immer wichtiger (Übersicht: s. K. Acosta et al. Plant Cell 2021; DOI:  https://doi.org/10.1093/plcell/koab189).

Ziel der Konferenzserie ist es, weltweit erfahrene und Wissenschaftler*innen im frühen Karrierestadium aus allen Gebieten der Wasserlinsenforschung mit anwendungs- und verwertungsorientierten Unternehmen zusammen zu bringen, um die Forschung an Wasserlinsen voranzutreiben und gleichzeitig den Erfordernissen einer noch immer wachsenden Weltbevölkerung unter Bedingungen des Klimawandels und bei gleichbleibenden oder verminderten Anbauflächen Rechnung zu tragen.

Preise für gelungene Beiträge junger Forschender

Zur ICDRA 2022 trafen sich im Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung  Gatersleben 94 Wissenschaftler*innen, darunter 31 Doktorandinnen und Doktoranden, aus vier Kontinenten und 21 Ländern. Die Themen der 42 Vorträge und 31 Poster lagen auf den Gebieten Genomics, Evolution, Differenzierung, Biodiversität, Ökologie, Microbiom, Physiologie, Stoffwechsel, Stressbewältigung, Phänotypisierung, Kryokonservierung, vertikale Kultivierung und aktuelle Anwendung für menschliche und tierische Ernährung, zur Abwasserreinigung sowie für die Herstellung rekombinanter Proteine. Es wurden drei Poster-Preise und ein Preis für den besten Vortrag der angehenden Forschenden verliehen, gestiftet von der CLF Plant Climatics GmbH und dem MDPI Plants-Verlag. Den Preis für den besten Beitrag eines Doktoranden erhielt Finn Petersen, Hochschule Osnabrück. Den Preis für die besten Poster haben Martin Schäfer (Universität Münster), Alexej Sonnenfeld (Universität Greifswald) und Dylan Jones (University Nottingham, UK) entgegen genommen. In der Jury hatten Mitglieder des ISCDRA gewirkt.

Themenspektrum und Inhalte

In einer öffentlichen Abendveranstaltung sprach Klaus-Jürgen Appenroth, Direktor der Deutschen Wasserlinsensammlung an der FSU Jena, über „Eine neue Kulturpflanze mit großem Potential für Ernährung, Wasserreinigung und Energie“. Es ging darum einer interessierten Bevölkerung, die Wasserlinsen oft nur als „Entengrütze“ kennt, die außergewöhnliche Biologie und das breite Anwendungspotential dieser Pflanzengruppe in einer Hybridveranstaltung näher zu bringen. Dazu haben auch entsprechende Ankündigungsartikel in der Mitteldeutschen Zeitung, dem MDR und in einem Bericht im MDR TV erfolgreich beigetragen.

Bemerkenswerte Fortschritte der Wasserlinsenforschung zeigten die folgenden Vorträge auf:

  • Vergleichende Transkriptomanalysen zur Aufklärung des Stoffwechsels und der epigenetischen Kontrolle beim Entwicklungsprozess und der Bildung von spezifischen Überwinterungsformen, den Turionen: Eric Lam (Rutgers University und derzeit‚ Chair of the International Steering Committe of Duckweed Research and Applications)
  • Mangel an Phosphat und Nitrat sowie Kochsalz- oder Kobalt-Stress erhöhen den Stärkegehalt in Wasserlinsen, was für die Nutzung als Energiepflanze zur Erzeugung von Bioalkoholen wichtig ist: K. Sowjanya Sree (Central University of Kerala, Indien)
  • evolutionärer Genverlust (mehrere Arten haben weniger als 20.000 Gene), Aufhebung des triploid block und weitgehend vegetative Vermehrung sind für das häufige Vorkommen von zwischenartlichen Hybriden und (auch ungradzahligen) Ploidie-Formen bei Wasserlinsen verantwortlich: Robert Martienssen (Cold Spring Harbor Laboratory, NY, US,)
  • Eine Tubulingen-basierende Fingerprinting-Methode gestattet den Nachweis interspezifischer Hybridisierung in der Gattung Lemna: Laura Morello (Institut für Biologie und landwirtschaftliche Biotechnologie des CNR, Milano, Italien)
  • Ökologie-, bzw. Stress-getriebene und epigenetische Kurzzeitevolution bei Wasserlinsen: Shuqing Xu und Alexandra Chavez (Universitäten Mainz und Münster)
  • Endophytische Proteobakterien übernehmen Funktionen bei der Aufnahme von Phosphor und Stickstoff und zur Vitamin B12-Synthese: Osnat Gillor (Ben Gurion University in Israel)
  • Microbiome haben einen positiven Einfluss auf das Wachstum von Wasserlinsen und deren Resistenz gegen wachstumsinhibierende Cyanobakterien: Masaaki. Morikawa (Hokkaido University, Japan)
  • Tageslänge-abhängige Änderungen der Circadianrhythmik bei Wasserlinsen anhand transgener Luciferaseaktivität: Tokitaka Oyama (Kyoto University, Japan)
  • Erste erfolgreiche Kryokonservierungsprotokolle unter Einschluss einer Virtrifizierung, deren Reproduzierbarkeit wegen der aufwendigen vegetativen Erhaltung und für die Deposition belegter taxonomischer bzw. transgener Referenzmuster von Wasserlinsen von erheblicher praktischer Bedeutung ist: Shogo Ito (Kyoto University, Japan) und Manuela Nagel (IPK Gatersleben)
  • Genomische Syntänie zwischen mehreren Wasserlinsengenomen, darunter neu assemblierte Genome von Landoltia punctata, Lemna minuta und Wolffia neotropica, einschließlich des Nachweises von Arthybriden und Genomverdopplungen: Todd Michael (Salk Institute for Biological Studies, San Diego, USA)
  • Demonstration der Eignung von Wasserlinsen für Biomasseproduktion und CO2-Bindung in großem Maßstab mittels indoor vertical farming: Finn. Petersen (Hochschule Osnabrück) und Marco Dietz (‚start-up‘ Carbon Clouds, Dresden)
  • Abwasserverwertung (circular economy) durch Wasserlinsen für die Fischzucht: Marcel Jansen and Simona Paolacci (University College Cork, Irland)
  • Erfolgreich automatisierte ganzjährige Produktion von Wolffia arrhiza und W. globosa und deren kommerziellen Vertrieb als vielseitig einsetzbares pflanzliches Gemüse in der Gastronomie und im Handel mit großem Marktpotenzial auch außerhalb Israels (v.a. Europa und USA): Tsipi Shoham (GreenOnyx Ltd, Israel)

Kommende Tagung

Während der Generalversammlung wurden die vor der Tagung in einer Internetabstimmung neugewählten Mitglieder des ISCDRA vorgestellt und vereinbart, dass die nächste ICDRA 2024 auf Antrag von Metha Meetam (Mahidol University & Kasetsart University) im thailändischen Bangkok stattfinden soll. Wer mehr über diesen Forschungszweig erfahren möchte, bleibt mit dem Newsletter Duckweed Forum (www.ruduckweed.org) auf dem Laufenden.

Dank der Förderung durch die DBG konnten Doktorand*innen durch niedrige Konferenzbeiträge und kostenlose Hotelübernachtungen unterstützt werden.

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Dr. habil. Klaus-J. Appenroth, Friedrich Schiller Universität, Jena
Prof. Ingo Schubert, Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) Gatersleben

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