Actualia (engl.) · Conference Report

UNESCO Conference

Gilles Boeuf, Generaldirektor des Museum national d’Histoire naturelle in Paris begrüßt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Foto: Thomas Janßen
Tagungspräsident Stephen Blackmore, Chair des Botanic Gardens Conservation International sowie des Darwin Expert Committee, betont die gesellschaftliche Notwendigkeit pflanzliche Biodiversität zu erforschen und zu erhalten und leitet daraus Ansätze für die botanische Wissenschaft ab. Foto: Thomas Janßen
Über 300 Botanikerinnen und Botaniker aus über 60 Ländern nahmen an der Tagung „Botanists of the twenty-first century: Roles, challenges and opportunities“ am Sitz der UNESCO in Paris teil. Foto: Thomas Janßen
Der Blick aus dem Speiseraum der UNESCO lud zum Verweilen und zu weiterführenden Gesprächen mit den Konferenzteilnehmern ein. Foto: Thomas Janßen

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Botanische Forschung für das 21. Jahrhundert - Rollen, Herausforderungen und Möglichkeiten

Mehr als 300 Botanikerinnen und Botaniker aus über 60 Ländern kamen vom 22. bis 25. September 2014 im Hauptquartier der UNESCO in Paris zusammen zur Tagung: Botanists of the twenty-first century: Roles, challenges and opportunities. Einer der Teilnehmer war Thomas Janßen, Präsidiumsmitglied der DBG. Er berichtet über die Bestandsaufnahme derjenigen Aufgaben, die Botaniker lösen können, über vier verschiedene Perspektiven zur Biodiversitätsforschung und welche Kenntnisse und Werkzeuge für botanisches Fachwissen nötig sind. Mehrere Vorträge gaben wichtige Impulse, welcher Bedarf an Botanikern und Botanikerinnen besteht. Das Ergebnis war ein Aufruf zur Förderung der Botanik als grundlegender Wissenschaft für den Schutz der Biologischen Vielfalt der Welt und die nachhaltige Nutzung von Ökosystemdienstleistungen, der der Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über die Biologische Vielfalt im Oktober 2014 in Pjöngjang (COP 12) zur Verfügung gestellt wurde.

Ausführlicher Bericht von Thomas Janßen

Welche Bedeutung hat die Botanik, insbesondere die botanische Biodiversitätsforschung, im Hinblick auf die ökonomischen, naturschutzlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit? Und welches Berufsprofil ergibt sich daraus?

Diesen Fragen widmete sich kürzlich die Tagung „Botanists of the Twenty-first Century: Roles, Challenges and Opportunities“, die vom 22.  bis zum 25. September 2014 über 350 Botanikerinnen und Botaniker aus 67 Ländern im UNESCO Hauptquartier in Paris zusammenführte. Konferenzsprachen waren Englisch und Französisch, wobei jederzeit eine Simultanübersetzung verfügbar war. Dies ermöglichte den Zugang zu der Tagung für ein breites Teilnehmerspektrum, welches von Doktoranden über Lehrstuhlinhaber und Regierungsvertreter bis hin zu Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen und Bewahrern traditionellen Wissens reichte.

Wissenschaft und Forschung für die Zukunft

Schon die Grußworte der Generaldirektorin der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Irina Bokova, umrissen die ehrgeizigen Ziele der Tagung: gemeinsam zu überlegen,

  • wie sich die botanische Wissenschaft von morgen aufstellen sollte, um bestmöglich gesellschaftlich wirksam zu werden, und auch
  • welches Rollenverständnis Botanikerinnen und Botaniker dabei von sich haben sollten sowie
  • welche Methoden und Forschungsgebiete sich im Rahmen internationaler Kooperation anbieten.

Vier Perspektiven der Biodiversitätsforschung

Die weiteren Grußworte von Gilles Boeuf, Generaldirektor des Museum national d’Histoire naturelle in Paris, sowie von Stephen Blackmore, Chair von Botanic Gardens Conservation International sowie des Darwin Expert Committee, zielten in dieselbe Richtung: die Erhaltung und Erforschung der pflanzlichen Biodiversität unter Nutzung bewährter und neuer Methoden als wesentliche Voraussetzung für jedes der vier Themenfelder der Tagung:

  • Wirtschaft: Welches Wissen ist für eine nachhaltige und ressourcenschonende Wirtschaft erforderlich? (Montag, 22. Sept.)
  • Umwelt: Welches Wissen ist erforderlich, um  Klimawandel, Umweltzerstörung und Artensterben zu bremsen? (Montag und Dienstag, 22. und 23. Sept.)
  • Gesellschaft: Welche Strategien sind notwendig, um Problemen der Globalisierung, Verstädterung und Nahrungsmittelverfügbarkeit zu begegnen und um die Bewahrung traditionellen Wissens zu fördern? (Dienstag, 23. Sept.)
  • Ausbildung: Welche Kenntnisse und welche Werkzeuge sind notwendig, um botanisches Fachwissen zu erzeugen und weltweit verfügbar zu machen? (Mittwoch, 24. Sept.)

Dieser ambitionierten Ausformulierung der Themenfelder im Tagungsprogramm entsprachen die Vorträge in den folgenden Tagen nicht immer vollständig. In Anbetracht der Kürze der Zeit, der Vielfalt der anwesenden Interessenvertreter und der enormen thematischen Breite,  soll dies allerdings nicht als Kritik sondern muss als Notwendigkeit verstanden werden.

Nachhaltige und ressourcenschonende Wirtschaft

Ausgehend von Beispielen wie etwa indigenes Wissens zur Etablierung neuer Nutzpflanzen genutzt werden kann oder wie die mit Kulturpflanzen verwandten Wildarten erforscht und geschützt werden können thematisierte das erste Symposium die Schaffung von Wissen über (potentielle) Nutzpflanzen und den Zugang zu diesem Wissen für alle Interessengruppen zur langfristigen Sicherung der Nahrungsmittelverfügbarkeit. Notwendige rechtliche Rahmenbedingungen für den Schutz der Rechte indigener Völker und Schutzstrategien (in situ und ex situ) der natürlichen Ressourcen wurden ebenso diskutiert wie die Bedeutung korrekter Artidentifikation als Voraussetzung für das Management natürlicher Wälder und Ressourcen sowie die korrekte Setzung von Schutzprioritäten, insbesondere in tropischen Ländern.

Klimawandel, Umweltzerstörung und Artensterben bremsen

Die Vorträge im Rahmen des zweiten Symposiums präsentieren Ansätze und Techniken die Dynamik natürlicher Pflanzengesellschaften zu überwachen, die von Fernerkundung über partizipative Plattformen (Citizen Science), die Wiederherstellung natürlicher Vegetation mit lokalem Saatgut bis hin zu Bilderkennungsverfahren zur Erkennung invasiver Arten reichen. Herbarien werden mehrfach genannt als wesentliche und moderne Forschungswerkzeuge und Datenquellen für Fragestellungen zur Vegetationsdynamik, zur Ausbreitungsgeschichte von invasiven Arten und Pflanzenkrankheiten oder zur Analyse von anatomischen und phänologischen Veränderungen im Zuge des Klimawandels. Die Erforschung physiologischer Mechanismen bei Nicht-Standard-Organismen soll die Vorhersage von Reaktionen auf Umweltveränderungen erleichtern.

Globalisierung und Verstädterung begegnen, Nahrungsmittelverfügbarkeit sichern und traditionelles Wissens bewahren

Die Einbindung der Bürger in wissenschaftliche und politische Prozesse sowie die Mobilisierung von Biodiversitätsdaten waren Themen im dritten Symposium. Digitale Vernetzung von Inhalten und Akteuren sowie partizipative Naturschutzaktivitäten waren vielzitierte Ansätze. Wiederholt wurden der Bedarf an gut ausgebildeten Botanikerinnen und Botanikern mit möglichst breiter fachlicher Aufstellung sowie an Herbarien als Forschungsinfrastrukturen betont.

Kenntnisse und Werkzeuge für botanisches Fachwissen

Im direkten Anschluss widmeten sich die Vorträge des vierten Symposiums den Notwendigkeiten der Botanikerausbildung und der Verfügbarkeit geeigneter Werkzeuge. Die Stärkung der universitären Ausbildung von Botanikern und Botanikerinnen und die Verbesserung der Kommunikation eines modernen Berufsbildes in die Öffentlichkeit waren ebenso Thema wie die Notwendigkeit der Verfügbarkeit von Online-Namensdiensten zur eindeutigen und begründeten Auflösung von Synonymen, die Bereitstellung von Datenbanken und Werkzeugen auf mobilen Geräten und die Nutzung von Online-Plattformen zur Kooperation bei der Erstellung von Beschreibungen, Bestimmungsschlüsseln und Floren. Das Kompetenzfeld des Botanikerberufes sollte nach Meinung der Vortragenden in Reaktion auf die gestiegene Komplexität der gesellschaftlichen Anforderungen deutlich erweitert werden und Partnerschaften in den Bereichen Naturschutz, Wirtschaft, Verwaltung, Politik und Kommunikation einschließen.

Bedarf an Botanikern und Botanikerinnen

Tägliche Keynotes und Abendvorträge gaben weitere wichtige Impulse. De-Zhu Li vom chinesischen Kunming Institute of Botany präsentierte den Forschungsfortschritt bei der Flora von China. Seit Ende 2013 liegt die englische Fassung der Flora of China vollständig vor. Bis 2015 will China für ein Viertel seiner Arten genetische Barcodes erzeugt haben und plant die Erstellung einer „iFlora“ of China zu mit dem Ziel, die Inventur und Überwachung der Dynamik der heimischen pflanzlichen Biodiversität wesentlich zu erleichtern.

Sandra Knapp vom Natural History Museum London verwies auf die Nutzung elektronischer Ressourcen und von Online-Datenbanken, um systematische Forschung effizienter zu gestalten. Sie findet die Stärkung botanischer Sammlungen notwendig und entwarf ein positives und motivierendes Berufsbild für Botanikerinnen und Botaniker, die mittels deskriptiver Taxonomie die Grundlage für die gesamte Biodiversitätsforschung schaffen und Informationen über alle Skalen vom Gen bis zum Ökosystem integrieren.

Marlina Ardiyani vom Indonesian Institute of Science, Herbarium Bogoriense, erklärte, dass gegenwärtig nur für 10 % der 300 Pflanzenfamilien Südostasiens Experten verfügbar sind, dass die Flora Malesiana gegenwärtig nur 20 % der 40.000 Arten der Region behandelt, und dass allein in den letzten vier Jahren 90 Arten und 4 Gattungen aus der Region neu beschrieben wurden. Julio Ruiz Murietta von der Universidad Científica del Perú stellt die Ökosysteme des tropischen Amazonas vor sowie deren konkrete Bedrohungen durch Entwaldung, Erdölgewinnung, Ölpalmenplantagen sowie Straßen-, Staudamm und Städtebau in Peru. Beide Vortragende leiten einen dringenden Bedarf an Botanikern und Botanikerinnen sowie an botanischer Forschung ab.

Sarah Oldfield von Botanical Gardens Conservation International zitierte die Global Strategy for Plant Conservation (GSPC) und betonte, dass Botanische Gärten durch Ihre Saatgutbanken, ex situ Erhaltungskulturen, Kooperationsnetzwerke und durch ihre Aktivitäten in der Umweltbildung weltweit zu den aktivsten und wichtigsten im Sinne der GSPC tätigen Organisationen gehören.

Schließlich zeigte Francis Hallé seinen sehr eindrücklichen Film „Il était une forêt“ („Das Geheimnis der Bäume“), in welchem der Lebenszyklus eines Waldökosystems nachgezeichnet und auf dessen Regenerationsfähigkeit verwiesen wird, sofern genügend Zeit und Raum zur Verfügung stehen.
Abschließend stand ein Tag am Muséum national d’Histoire naturelle auf dem Programm. Nach einer Präsentation der lebenden und konservierten botanischen Sammlungen bestand Gelegenheit zur Führung durch die umfassend renovierten Gewächshäuser und Herbargebäude sowie zur weiteren Diskussion der Inhalte der vergangenen Tage.

Ergebnis: Aufruf zur Förderung der Botanik als grundlegende Wissenschaft für den Schutz der Biologischen Vielfalt der Welt und die nachhaltige Nutzung von Ökosystemdienstleistungen

Als Ergebnis des Austauschs während der Tagung wurde von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine Erklärung verabschiedet. Diese wurde der 12. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über die Biologische Vielfalt im Oktober 2014 in Pjöngjang (COP 12) als Informationsdokument (Aufruf zur Förderung der Botanik als grundlegende Wissenschaft für den Schutz der Biologischen Vielfalt der Welt und die nachhaltige Nutzung von Ökosystemdienstleistungen, pdf) zur Verfügung gestellt. Die Erklärung ermutigt Botaniker und Botanikerinnen und, weiter gefasst, Pflanzenwissenschaftlerinnen und Pflanzenwissenschaftler, an der Erfüllung der GSPC mitzuwirken. Es sollen Partnerschaften in Naturschutz, Ökologie, Forstwirtschaft, Ackerbau, Wirtschaft, Sozialwissenschaften und Kommunikation gesucht werden, um die komplexer werdenden gesellschaftlichen Kontexte bedienen zu können. Etablierte Methoden sollten zusammen mit neuen Methoden eingesetzt und eine Zusammenarbeit mit indigenen Völkern sollte angestrebt werden. Alle Botaniker und Botanikerinnen werden aufgerufen, sich an Aktivitäten der Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) zu beteiligen.

Regierungen und Organisationen werden aufgefordert, botanische Gärten und Sammlungen als Zentren der Forschung und Ausbildung sowie als Informationsspeicher angemessen auszustatten und zu stärken. Der Austausch von Pflanzenmaterial im Einklang mit geltenden gesetzlichen Regelungen und Prinzipien des Access and Benefit Sharing (ABS) soll erleichtert werden. Außerdem sollen die Botanik und Biodiversitätsforschung in der Wirtschaft und in der Gesellschaft stärker verankert und die Kommunikation zwischen Botanikerinnen und Botanikern und der Gesellschaft verbessert werden. 2017 soll von der UN als „International Year of Plants for Life“ ausgerufen werden.

Forschung stärken, Botanikerinnen und Botaniker fördern

Sowohl während der Vorträge als auch in den Pausengesprächen war die hohe Dichte unterschiedlicher Perspektiven auf die botanische Wissenschaft – auch über die Grundlagenforschung hinaus – sehr anregend und motivierend. Wenngleich vorwiegend besorgniserregende Schlaglichter auf den Zustand der weltweiten Biodiversität fielen und die Erreichung der Aichi Biodiversity Targets keinesfalls in greifbarer Nähe zu sein scheint, so stellte die Tagung die Botanik als Schlüsselwissenschaft von hoher gesellschaftlicher Relevanz in allen Lebensbereichen dar. Die Notwendigkeiten der Intensivierung der Erforschung der pflanzlichen Biodiversität und der Erweiterung des Kompetenzhorizonts der Botanikerinnen und Botaniker in einer komplexer werdenden Welt waren allgemein Konsens.

Botanikerinnen und Botaniker haben ein Geschenk für die Welt

Dieser Konferenzbericht schließt mit der Frage des Tagungspräsidenten Stephen Blackmore „Botanists’ one gift to the world is plant knowledge – what can possibly be more important?“

Bericht von Dr. Thomas Janßen, Kustos des Späth-Arboretums
und des Herbariums, Humboldt-Universität zu Berlin
im November 2014

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