Am 9. Februar 2023 verstarb mit Hans-Dieter Ihlenfeldt ein herausragender deutscher Taxonom, dem wir wesentliche Erkenntnisse zum holistischen Verständnis der Evolution und Ökologie von Pflanzen der Trockengebiete verdanken. Den Schwerpunkt seines Lebenswerkes bildeten die in Afrika beheimateten Aizoaceae (Mittagsblumengewächse), die auch in weltweiter Perspektive zu den umfangreichsten Pflanzenfamilien arider Gebiete zählt. Das machte ihn aus der Perspektive Afrikas über Jahrzehnte zu einem der wichtigsten deutschen Biologen.
Ihlenfeldt war ein kommunikationsfreudiger Mensch, der dank seiner weitreichenden Kontakte mehrere nationale und internationale Tagungen in Hamburg ausrichtete, wie etwa den 12. AETFAT-Kongress (Association for the Taxonomic Study of the Flora of Tropical Africa) 1988. Er war für seine Schüler*innen und Mitarbeiter*innen eine Quelle der Inspiration und legte in seiner großen Arbeitsgruppe den Grundstein für die Erforschung zahlreicher weiterer Taxa und Themen der Trockengebiete. Nach dem Ende der Apartheit beteiligte sich seine Gruppe aktiv an der aufblühenden wissenschaftlichen Kooperationen Deutschlands mit dem südlichen Afrika.
Mittagsblumengewächse, Sesamgewächse und Pflanzen der Savannen
Hans-Dieter Ihlenfeldt wurde am 17. Juli 1932 in Kiel geboren, wo er auch studierte und 1958 bei Herbert Straka zur Ontogenie der Mittagsblumengewächse promovierte. Für das Thema der anschließenden Habilitation wählte Ihlenfeldt die Ontogenie der Früchte der Sesamgewächse (Pedaliaceae), einer weiteren wichtigen Pflanzenfamilie der afrikanischen Savannen und Trockengebiete. Im Jahr 1961 schifften er und seine Frau Margarete sich ein, um für sieben Monate in Südafrika und dem heutigen Namibia, das vor seiner Unabhängigkeit 1990 noch Südwest-Afrika hieß, Untersuchungsmaterial zu sammeln. Von 1971 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1995 war er Professor für Botanik der Universität Hamburg.
Nach ersten Publikationen zur taxonomischen Stellung der höheren Taxa in den Aizoaceae zu Beginn der 60er Jahre folgte ein Jahrzehnt mit Arbeiten zu den Sesamgewächsen. Ab 1971 trat die Familie der Aizoaceae wieder in den Mittelpunkt und sollte es für mehr als drei Jahrzehnte bleiben.
Hygrochastischen Spaltkapseln und lebende Steine
Die Aizoaceae umfassen 2.500 Arten in 127 Gattungen. Ihlenfeldts Schwerpunkt lag von Beginn an auf den eigentlichen Mittagsblumengewächsen. Sie bilden den Kern der Familie mit insgesamt 115 Gattungen, die aus der alten linnéischen Gattung Mesembryanthemum hervorgegangen waren. Das Hauptvorkommen dieser in rascher Evolution befindlichen Gruppe liegt in den ariden Teilen des südlichen Afrikas, vor allem im Winterregengebiet und dem Übergangsbereich zum Sommerregengebiet. Taxonomisch wertvoll sind die komplexen hygrochastischen Spaltkapseln, die sich bei Benetzung öffnen und ihre Samen mithilfe von Regentropfen ausschleudern (Regenballisten). Im vegetativen Bereich haben mehrere parallele Entwicklungslinien zu der Wuchsform der „Lebenden Steine“ geführt, wenige Zentimeter hohe Zwergpflanzen, welche in einer Art Tarntracht die sie umgebenden Steine mimetisch nachahmen. Für Ihlenfeldt war die Erforschung ihrer Phylogenese gleichbedeutend damit, die Anpassungsstrategien aufzuklären, die diesen Pflanzen das Überleben in ariden Lebensräumen möglich macht und ihnen hilft, trockene Jahreszeiten und längere Dürreperioden zu überstehen.
Ihlenfeldts Arbeiten hatten sich zunächst mit der Bedeutung ontogenetischer Abbreviationen und Zeitkorrelationsänderungen für die Stammbaumentwicklung der Aizoaceae sowie darüber hinaus für die Angiospermen insgesamt befasst und damit das aus der zoologischen Forschung hervorgegangene Konzept der Neotenie für die Botanik weiterentwickelt. Schon früh hatte er darüber hinaus die Bedeutung der Rasterelektronenmikroskopie erkannt für die Bearbeitung anatomischer Merkmale. Studien zur Blattepidermis, Pollen und Samen verbesserten die Abgrenzung von Taxa ebenso wie das Verständnis für phylogenetische Progressionen im Laufe der Evolution. Die Zusammenschau der zahlreichen morphologischen und taxonomischen Bearbeitungen mit den neu erarbeiteten Perspektiven führte in den 90er Jahren zu viel beachteten Publikationen, die die Diversifizierung dieser komplexen Familie in den Trockengebieten der Welt als Wechselspiel von Evolution und Ökologie rekonstruierten.
Weltweit größte Sammlung lebender Mittagsblumengewächse
Die Expansion der wissenschaftlichen Konzepte und Methoden ging einher mit dem Aufbau einer großen und sehr aktiven Arbeitsgruppe an der Universität Hamburg. Hans-Dieter Ihlenfeldt und seine zahlreichen Schüler*innen führten umfangreiche Sammelreisen in der Karoo und Namib durch und schufen so im Botanischen Garten (heute Loki-Schmidt-Garten) der Universität Hamburg die bis heute weltweit größte Lebendsammlung der Aizoaceae.
Hans-Dieter Ihlenfeldt war ein engagierter Botaniker und Hochschullehrer, der sich bis in jüngste Zeit in Debatten zur Taxonomie und Evolution aktiv einbrachte. Als akademischer Lehrer wirkte er mit ansteckender Begeisterung, seine anregenden Vorlesungen und Kurse bereitete er perfekt vor, auch nahm er sich viel Zeit und Mühe für seine studentischen Hilfskräfte, seine Schüler*innen und Doktorand*innen. Sein wissenschaftliches Wirken umspannte nahezu sechzig Jahre, Zeiten eines tiefgreifenden Wandels in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Als er begann, war das taxonomische Wissen über tropische und subtropische Flora überwiegend in den Zentren Europas und Nord-Amerikas konzentriert. Ihlenfeldt konnte miterleben, wie sich seither in Südafrika und Namibia eine neue, einheimische Generation von Taxonomen herausgebildet hat, die auf den von ihm geschaffenen Fundamenten weiterarbeitet.
s.a. Liste der Publikationen von Prof. Ihlenfeldt [2]
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Im Februar 2024
Prof. Dr. Norbert Jürgens, Dr. Hans-Helmut Poppendieck und Dr. habil. Ute Schmiedel, Institut für Pflanzenwissenschaften und Mikrobiologie der Universität Hamburg.
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Referenzen
[1] siehe Cactus d'Or-Preis https://www.iosweb.org/org/cacdor.php
[2] Albers, F. (2004): Widmung für Prof. Dr. Hans-Dieter Ihlenfeldt, mit Liste der Publikationen. In Biodiversity & Ecology 2: 15-22: https://www.biodiversity-plants.de/biodivers_ecol/vol2.php